Das Ziel im Blick oder im Nacken

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Erinnerst Du Dich noch an Deine Schulzeit, den Deutschunterricht, die Diktate? Letztere, die Diktate, unterschieden die Lehrer in vorbereitete und unvorbereitete, je nachdem ob der Prüfungstext bekannt war oder die Schüler/innen den Text in der Stunde der Wahrheit zum ersten Mal hörten. Die vorbereiteten Diktate wurden natürlich härter bewertet als die unvorbereiteten. Ein Fehler in einem vorbereiteten Diktat konnte einem schon mal eine halbe oder wenigstens eine Viertelnote kosten. Wer Wörter wie «ziemlich» oder «nämlich» um ein «h» erweiterte, geriet arg in Bedrängnis, wenn er oder sie noch das eine oder andere Komma falsch setzte, die Umlautpunkte vergass oder andere sogenannte Flüchtigkeitsfehler beging. Da wundert es einen aus heutiger Sicht kaum, dass sich viele von uns vor einem Diktat nur ein einziges Ziel setzten: «Bloss keine Fehler machen!» Und so harrten wir über unseren Heften; den Griffel oder die Füllfeder drückten wir mit übermässigem Einsatz zwischen unseren Fingern, der Unterarm neigte zu Krampferscheinungen. Nur nicht den Kopf heben, bloss nicht die Spannung verlieren. Stress pur! Und das alles wegen einem Diktat? Nicht ganz.

Die Formulierung macht den Unterschied

Das Diktat als solches hätten wir auch mit Motivation angehen und vielleicht sogar als Herausforderung sehen können, die uns zu besseren Rechtschreiberinnen und Rechtschreibern hätte machen können. Vielleicht schmunzelst Du jetzt und fragen, wie sich denn eine solch positive Einstellung zu etwas so Bitterem wie einem Diktat jemals hätte einstellen können. Die Antwort darauf liegt in der Art und Weise, wie wir vor dem Diktat unser Ziel formulierten.

Welche Richtung wählen wir: Ein Ziel anstreben oder das Eintreten eines Ereignisses vermeiden?

Anstelle von «Bloss keine Fehler machen!» hätten wir uns auch «Alles richtig schreiben!», «Dem Lehrer zeigen, dass ich die deutsche Rechtsschreibung beherrsche!» oder «Heute verbessere ich meinen Notenschnitt in Deutsch um eine halbe Note!» als Ziel setzen können. Das wären Annäherungsziele gewesen – solche Ziele also, die einen auf einen wünschenswerten Zustand zustreben lassen. Eben z. B.: «Alles richtig schreiben!» oder «Den Notenschnitt in Deutsch um eine halbe Note verbessern». Ganz anders verhält es sich mit den Vermeidungszielen. «Bloss keine Fehler machen!» thematisiert einen Zustand, den wir als negativ empfinden («Fehler machen») und dem wir entgegnen wollen, ihn deswegen verneinen («nicht»).

Ein Selbstexperiment

In der folgenden Liste kannst Du einige aus dem Alltag gegriffene Vermeidungs- und ihre respektiven Annäherungsziele lesen und auf Dich wirken lassen. Was verändert sich in Deiner Gefühlswelt, wenn Du die einen und dann die anderen Ziele betrachtest?

Vermeidungsziele Annäherungsziele
«Bloss nicht zu spät kommen» «Pünktlich vor Ort sein»
«Den Zug nicht verpassen» «Den Zug doch noch erwischen»
«Den Job nicht verlieren» «Die Stelle zur vollen Zufriedenheit ausfüllen»
«Nur keine Nervosität aufkommen lassen» «Ganz gelassen bleiben»
«Das Spiel nicht verlieren» «Das Spiel gewinnen»

Wenn ich die Vermeidungsziele lese, schnürt sich mir die Kehle zu, ich spüre eine Enge in der Brust, ein Gefühl, das der Atemnot gleicht, stellt sich ein. Beim Betrachten der Annäherungsziele öffnet sich meine Brust, mein Geist klart auf, ich nehme eine Art Aufbruchstimmung war, Tatendrang und Motivation kommen auf. Geht es Dir ähnlich? Spürst Du, wie unterschiedlich sich Annäherungs- und Vermeidungsziele auf Dein Erleben auswirken? Falls ja, dann kennst Du nun einen Schlüssel zu mehr Freude und Wohlergehen, Tatendrang und Lebenslust. Wer seine Aufgaben mit einem Annäherungsziel verknüpft, wird sie leichter, beschwingter und in höherer Qualität erfüllen als jemand, der seine Aufgaben mit einem Vermeidungsziel ausübt.

Reto und Bruno

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