Reines Sein
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Der Artikel «‹Momo› verängstigt Kinder» in der NZZ vom 3. Dezember 2018 trug den Untertitel «Ein WhatsApp-Kettenbrief mit einer Schauerfigur verunsichert Klein und Gross». Die Smartphone-Nachricht lautete: «Hallo, ich bin Momo und bin vor 3 Jahren verstorben. Ich wurde von einem Auto angefahren, und wenn du nicht möchtest, dass ich heute Abend um 00:00 Uhr in deinem Zimmer stehe und dir beim Schlafen zuschaue, dann sende diese Nachricht an 15 Kontakte weiter. Wir meinen, dass dieses WhatsApp aus Sicht der Gesundheitsentfaltung wenigsten drei Erkenntnisse ermöglicht:
- Der Autor dieses Kettenbriefes droht und fordert, was auf seine Boshaftigkeit schliessen lässt und ihn damit als Misanthrop erscheinen lässt. Der Versand dieser Botschaft entstammt einem kranken und damit auch für den Urheber schädlichen Denken.
- Da wir Momo normalerweise mit einem freundlichen, lustigen, selbstverantwortlichen Mädchen im gleichnamigen Roman von Michael Ende assoziieren, wäre eine vergleichbare Botschaft in liebevoller Weise möglich gewesen, ohne zu ängstigen.
- Der boshafte Kettenbrief zeigt eindrücklich, dass Angst und Stress meistens nicht mit einer akuten Gefahr verbunden sind, sondern mit deren Vorstellung und damit einer fehlgeleiteten Aktivität des Bewusstseins. In jedem Moment entscheiden wir, was wir erleben.
Ganz generell ist es wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass die wenigsten unserer Ängste und der damit verbundene Stress von einer unmittelbaren Gefahr ausgehen. Wir leiden oft an Erwartungen und Wünschen, die nicht in Erfüllung gehen oder an wirtschaftlichen, politischen, ökologischen Problemen, die wir nicht verändern können. Dabei verpassen wir einen glücklicheren Moment genauso, wie wenn wir seelische Belastungen nicht angehen und heilen.
Wer beispielsweise eine Lebenserwartung von 40 Jahren hat, lebt noch ca. 800 Millionen Sekunden im Wachzustand und entscheidet in jedem Moment, ob dieser Angst, Depression, Neid und Gier oder Zufriedenheit, Lust, Freude, Vertrauen und Zuversicht beinhaltet. Dabei erfahren wir immer wieder, dass die Zeit mit zunehmendem Lebensalter schneller zu vergehen scheint. Und dann spüren wir, wie die Sekunden zerrinnen, in denen wir je nachdem, wie wir uns entscheiden, Sinnvolles oder Sinnentleertes erleben.
Von anderem Kaliber als die Unterscheidung von sinnvollen und sinnfreien Momenten ist die Frage nach den heilvollen Augenblicken. Um dieses Heilvolle in Worte zu fassen, müssen wir etwas weiter ausholen:
Meditation kann heilen
Mystiker und Meditierende lernen, das Bewusstsein so zu steuern, dass es heilend wirkt. Der indische Guru Osho beschrieb 112 Meditationen, was darauf hindeutet, dass trotz der Erfahrung von Millionen Meditierender keine sich als die allein wahre herausgeschält hat. Da Meditationen ihre Wirkung erst nach langer Praxis zeigen, ist es auch kaum möglich, jede ausreichend auszuprobieren.
Über die Wirksamkeit der Meditation dürften indes kaum Zweifel bestehen, ist doch die Anzahl der Studienergebnisse derart gross, dass Selbstverantwortliche wohl am besten sich nach eigenem Gutdünken im Internet kundig machen. Die unseres Wissens einzige Hochschule auf der westlichen Hemisphäre, die Meditation als Teil der Ausbildung einschliesst, ist die Maharishi University of Management in Fairfield, spezialisiert u. a. auf Kunst, Betriebswirtschaft, Mathematik, Physiologie, Gesundheit und nachhaltiges Leben. Es ist daher kaum erstaunlich, dass viele eindrückliche Studien zur Transzendentalen Meditation dort entstanden sind (zum Teil staatlich finanziert, was auf die institutionelle Unabhängigkeit hindeutet).
Viele Menschen erleben die heutige Zeit als hektisch und stressig. Gemäss Umfragen leidet jeder dritte Schweizer und jede dritte Schweizerin unter einem gestörten Schlaf, wie die NZZ vom 10. Dezember 2018 (S. 27) berichtet. Ein grosser Teil jener, welche Störungen (des Schlafs, mangelnde Aufmerksamkeit, Hyperaktivität etc.) angehen wollen, tun dies medikamentös, verursachen Kosten, ziehen aber die Meditation als heilsamen Weg nicht einmal in Betracht.
Als wohl wichtigste Argumente werden dabei der Mangel an Zeit und die Unfähigkeit des Stillsitzens ins Feld geführt. Unberücksichtigt bleiben dabei die symbolische Sprache der Natur und die Überheblichkeit, Heilen folgenlos durch Therapieren ersetzen zu können. Dabei gibt es zwischen diesen beiden Vorgängen entscheidende Unterschiede: Beim Therapieren ringen wir mit Krankheiten oder sogar nur mit deren Symptomen; beim Heilen lenken wir unser Bewusstsein auf Gesundheit aus. Konkreter heisst dies: Bewusste Menschen erkennen in ihren körperlichen und seelischen Symptomen einen Ansporn, lebenssinnorientiert Wesentliches in ihrem Alltag zu verändern, bevor ein Unfall oder eine schwere Krankheit sie weckt oder allenfalls umbringt. Wenig bewusst lebende Menschen lassen es leicht zum Äussersten kommen, bis sie sich zur Therapie gezwungen sehen. Wer in Dir entscheidet, ob Du beim Herkömmlichen bleiben oder etwas Neues zu Gunsten Deiner Gesundheit wagen möchtest? Das Erstgenannte wird Dich kurzfristig kaum herausfordern, langfristig aber sehr viel Lebenszeit kosten. Das Zweitgenannte wird Dich ab sofort aus der «Komfortzone» reissen, langfristig aber glücklicher und gesünder machen.
«Reines Sein» als heilvoller Bewusstseinszustand
Wir sind überzeugt, dass die vielen Meditationsmethoden letztlich nur zum Ziel haben, den vierten Bewusstseinszustand – das «Reine Sein» – zu erreichen, wie er in den ca. 2000 Jahre alten Mandukya Upanischaden angetönt wird. Sie unterschieden: das Wachen, das Träumen, den Tiefschlaf und das «Reine Sein». Es ist für alle Menschen erreichbar, unabhängig ihrer Wurzeln, ohne Abwertung eines Dogmas oder einer Glaubensrichtung.
Bereits das Wort «antönen» ist insofern falsch, als dass dieser vierte Bewusstseinszustand unbeschreibbar bleibt, weil er bei leerem inneren Bildschirm wort- und gedankenlos erfahren wird. Erstmals wurde ich in Indien in dieses Thema eingeführt, wo der Zustand mit einem bewussten Tiefschlaf verglichen wurde. Doch jeder Beschreibungsversuch macht das «Reine Sein» zum Objekt des Verstandes und zerstört es damit. Die Upanischaden bieten eine dem indischen Denken entstammende Beschreibung an. Mein Meditationslehrer, der sich seit langem in Sanskrit weiterbildet, hat dazu die folgende Übersetzung vorgeschlagen:
«Dieser Bewusstseinszustand ist der Herrscher über alles, er ist allwissend, er ist der innere Lenker. Er ist der Ursprung von allem; denn er ist Entstehen und Vergehen der Wesen. Weder nach innen noch nach aussen gerichtetes Bewusstsein, weder Bewusstsein in beide Richtungen zusammen noch eine einzige Bewusstseinsmasse, weder bewusst noch unbewusst, unsichtbar, nicht handelnd, unerfassbar, undefinierbar, undenkbar, unbeschreiblich, die Essenz der Erfahrung des einen Selbst, zur Ruhe gekommene Erscheinungswelt, friedvoll, glückselig, ohne ein Zweites; dies ist als vierter Bewusstseinszustand bekannt. Das ist das Selbst; das gilt es zu erkennen.»
Kein Zweifel, es mag Jahre der Meditation brauchen, um diesen Zustand auch nur während einigen Sekunden zu erreichen. In unserer Erfahrung lässt er sich aber üben, wobei der Weg das Ziel sein sollte. Denn wer während der Meditation stets nach diesem buchstäblich unbeschreibbaren Zustand trachtet, wird ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals erleben. Meditieren lässt es sich indes in vielen alltäglichen Situationen, etwa in einer Ruhepause oder gar beim Einschlafen. Es ist dann allerdings kein Wunder, wenn das Bewusstsein in kürzester Zeit in den Schlaf kippt und in unserem Erleben ein ausgeruhtes Erwachen zur richtigen Zeit ermöglicht, wenn kein Raubbau mit Schlafmanko betrieben wird. Allerdings, wenn dies das Ziel ist, lässt sich dies auch mit einfacheren Methoden wie autogenem Training und Ähnlichem erreichen.
Von immens höherer Relevanz, so meinen wir, ist jedoch die heilende Wirkung des «Reinen Seins». Denn es lässt alles zurück, was unseren Geist im Alltag auf Trab hält – seien es Glücksgefühle, die mit Verlustangst verbunden sind, oder Stress aufgrund selbst konstruierter, nicht akuter Gefahren. «Reines Sein» ist in diesem Sinne leer und deshalb gegen alle Seiten offen. Es ist potenzielle Fülle und damit Ganzheit und Heil.
Bruno und Reto
Der Schüler sagt zum Meister: «Ich habe nichts.»
Der Meister antwortet: «Wirf es weg!»
Aus dem Zen-Buddhismus
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